Das Prinzip Nabe und Speiche

Logistik

Das Prinzip Nabe und Speiche

Gewaltige 12 Meter hoch ragt das Hoch­regal­lager in Vendenheim auf. Der Blick der Logistik-Mitarbeiter geht weit darüber hinaus.

Mit einem neuen Logistikkonzept will die Hager Group ihre Produkte künftig deutlich schneller ans Ziel bringen. Die großangelegte Neuordnung der Warenströme ist Teil der Konzentration auf den alles entscheidenden Parameter: den Kunden und seine Bedürfnisse.

Bénédicte Crosnier, Vice President Logistics & Supply Chain, verantwortet die Neuorganisation unserer Logistik.
Logistikmanager Detlev Röttger bringt umfangreiche Erfahrungen in der Organisation von Warenströmen mit.
Ralph Fürderer überwacht als Chief Technical Officer den Aufbau unseres Logistiknetzwerks. Roboter und vollautomatisierte Förderbänder transportieren Bestellgüter vom Lager zur Kommissionierung.

Spaghetti. Es mag überraschend klingen, aber Detlev Röttger, Logistikmanager bei der Hager Group, hat in letzter Zeit beruflich viel mit italienischer Teigware zu tun. Genauer gesagt: mit einer symbolhaften Handvoll Spaghetti, die sinnbildlich für die komplexen Warenströme in einem Weltkonzern wie der Hager Group steht. In einer Präsentationsfolie des Logistikmanagers Röttger sieht man diese vielgliedrigen Transportwege, die, über eine Europakarte gelegt, tatsächlich an eine Handvoll noch ungekochter Nudeln erinnern. Sie führen von den 20 europäischen Produktionsstandorten der Hager Group zu tausenden Kunden auf dem Kontinent, die die Produkte der Gruppe kennen und schätzen. Das ist einerseits natürlich erfreulich, andererseits aber auch kompliziert und langsamer, als es eigentlich möglich und wünschenswert wäre.

Geht es nach Röttger und seiner Vorgesetzten Bénédicte Crosnier, gehört das Prinzip Spaghetti bald der Vergangenheit an. Crosnier, Vice President Supply Chain bei der Hager Group, und Röttger, Director Logistics Europe der Hager Group, planen gerade eine komplette Neuordnung der Distribution. „Mit unserer neuen Logistikplattform werden wir Großhändler, Elektroinstallateure, große Baumärkte und Schaltanlagenbauer künftig direkter, schneller und effizienter beliefern können“, erklärt Crosnier.

Statt vieler separater Warenströme, die beim Kunden enden, wird die Hager Group ihre europäischen Kunden künftig über ein einziges zentrales Warenlager beliefern. Auf Detlev Röttgers Präsentationsfolien wird das neue Logistikmodell symbolisch mit Speichen eines Rades dargestellt, die von der Radnabe zu den Zielpunkten führen. „Nabe und Speiche stehen stellvertretend für unser Ziel, stets das richtige Produkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben“, sagt Röttger. „Das klingt selbstverständlich, ist aber alles andere als trivial.“

Mit unserer neuen Logistikplattform werden wir künftig direkter, schneller und effizienter liefern können.

Bénédicte Crosnier, Vice President Logistics & Supply Chain

Noch wird in Vendenheim geschweißt und aufgebaut. Die ersten Paletten aber stapeln sich bereits.

Wie komplex die Umsetzung dieses Anspruchs ist, zeigt sich dieser Tage im elsässischen Vendenheim. Am Rande des zehn Kilometer nördlich von Straßburg gelegenen Städtchens begannen im Sommer 2019 die Bauarbeiten für einen 27.500 Quadratmeter großen Lagerhallenkomplex, den die Hager Group zum Jahresende 2020 übernommen hat. Der „Vendenheim Logistik-Hub“, wie er offiziell heißt, wird künftig die zentrale Achse des Hager Group Logistiknetzwerks bilden. Sämtliche Produkte und Lösungen aus dem Produktionsnetzwerk des Unternehmens sollen von hier aus gebündelt und an an die lokalen Verteilzentren, sowie einige Direktkunden in Europa geschickt werden. Zusätzlich sollen in Frankreich und Deutschland zwei verkehrsgünstig gelegene „Local Distribution Centers“ entstehen, die für die beiden größten Absatzmärkte der Gruppe sowie Österreich und die Niederlande als Verteiler fungieren und ebenfalls vom Logistik-Hub Vendenheim aus bestückt werden.

Noch sind in Vendenheim Montagearbeiter und Kräne im Einsatz, aber wenn der Logistik-Hub im Herbst 2021 in den Vollbetrieb übergeht, werden hier rund 100 Mitarbeiter mithilfe hochmodernder Technik und nachhaltigen Lösungen bis zu 40 LKW pro Tag beladen. „Vendenheim wird, um im Bilde zu bleiben, eine schnell rotierende und hocheffiziente Radnabe für unser Unternehmen sein“, erklärt Röttger. Das Ziel: höhere Reaktivität. Kürzere Lieferzeiten. Und maximale Flexibilität für Kunden.

Unsere europäischen Kunden werden wir künftig über ein zentrales Warenlager beliefern.

Der Logistik-Hub im elsässischen Vendenheim ist 27.500 Quadratmeter groß und das Herz unserer europäischen Warenlogistik.
Weg vom Werk, hin zum Kunden

Der Grundgedanke steht für einen fundamental neuen Ansatz in der Logistik. Weg von einem über die Jahre gewachsenen dezentralen Netzwerk, das an Werke und Produktionsstätten angedockt war, hin zu einem zentralistischen Modell, das sich konsequent an den Bedürfnissen der Kunden und ihrer Projekte orientiert. Denn mit dem Unternehmensprojekt „Project 2030“ wird die Hager Group nicht nur deutlich kundenzentrierter agieren, sondern auch verstärkt ins Projektgeschäft einsteigen. Der Logistik-Hub Vendenheim ist somit eines der ersten Vorhaben, an dem sich das „Project 2030“ mit Händen fassen und begutachten lässt. Und er ist gleichzeitig ein Beleg für die Zukunftsorientierung der Hager Group.

Feintuning der Hochleistungstechnik im automatischen Kleinteilelager (Shuttle).

Vendenheim wird wie eine hocheffiziente Radnabe funktionieren.

Detlev Röttger, Director Logistics Europe

Denn für große Projekte müssen häufig eine Vielzahl an Produkten und Lösungen punktgenau an eine Baustelle geliefert werden. „Mit unserem alten Logistikmodell wären dafür im Extremfall mehrere LKW von verschiedenen Werken zur Baustelle unterwegs gewesen“, sagt Detlev Röttger, der vor seiner Zeit bei der Hager Group bei einem Systemanbieter der Branche die Logistik verantwortete. „Dass das weder für uns noch für unsere Kunden optimal ist, liegt auf der Hand.“

Die Bedürfnisse der Kunden wiederum sind heute so unterschiedlich wie ihre Geschäftsfelder und Projekte. Wie verschiedenartig die Anforderungen sind, stellen Röttger und seine Kollegen in vielen Gesprächen bei Kundenbesuchen fest: „Coronazeiten einmal ausgenommen, besuchen wir Logistiker zusammen mit unserem Vertrieb jedes Jahr mehrere Dutzend unserer Kunden. Ein persönliches Vor-Ort-Gespräch ist immer aufschlussreicher als indirekte Informationen.“ So habe er vor einiger Zeit bei einem Schaltanlagenbauer erleben können, wie begrenzt dessen Lagerkapazitäten und Rangierflächen bemessen sind. Entsprechend wichtig ist es für ihn, dass benötigte Komponenten exakt zur richtigen Zeit angeliefert werden. Für viele Großhändler wiederum, eine der großen Kundengruppen der Hager Group, sind planbare Lieferzyklen wichtiger als flexible „just in time“-Anlieferungen. Mit anderen Worten: Jeder Kunde hat seine individuellen Präferenzen. „Ein wichtiges Ziel der künftigen Hager Supply Chain ist es, jedes Kundensegment perfekt zu bedienen“, so Bénédicte Crosnier.

Testweise gehen im Frühjahr 2021 die ersten Sendungen auf die Reise. Im Herbst nimmt das Logistikcenter seinen Vollbetrieb auf.
Flexibel für die Kunden, robust in den Abläufen

Im Idealfall sollen Kunden ihre Bestellungen bereits am nächsten Tag erhalten – ein ambitioniertes Ziel, das jedoch mit den noch in Planung befindlichen Local Distribution Centers tatsächlich realistisch erscheint. Andere Kunden haben es indes nicht so eilig oder bevorzugen Sammel-Lieferungen zu festen Terminen, für die sie Kapazitäten vorhalten und Lagerplatz einplanen können. Entscheidend ist: Jeder Kunde soll künftig genau so bedient werden, wie es seinen Abläufen und Bedürfnissen entspricht.

Dafür aber müssen die Logistikprozesse der Hager Group extrem robust gestaltet werden. Und weil das so ist, geht die Neuausrichtung des Logistiknetzwerkes mit einer umfassenden Standardisierung und Automatisierung einher: Nur so ist es möglich, aus den rund 200.000 Posten des Hager Group Portfolios zeitnah und effizient genau jene auf den Weg zu bringen, die ein Kunde irgendwo in Europa gerade benötigt. Im Logistik-Hub Vendenheim wird dafür im Laufe des Jahres 2021 ein vollautomatisiertes Kleinteilelager installiert, das mithilfe von Förderbändern und Robotern aus den 12 Meter hohen Hochregallagern selbsttätig die Posten einer Bestellung zusammenstellen wird. Über ein umfassendes „Track & Trace“-System werden Kunden transparent verfolgen können, wo sich ihre Order aktuell befindet und wann sie bei ihnen eintrifft. Gleichzeitig können Logistiker wie Bénédicte Crosnier und Detlev Röttger angesichts des volldigitalisierten Prozesses sehen, wo es möglicherweise hakt und wo Verbesserungspotentiale gehoben werden können.

Vor uns liegt eine Operation am offenen Herzen. Mit professionellem Projekt- und Risikomanagement werden wir die Beeinträchtigung unserer Kunden auf ein Minimum reduzieren.

Detlev Röttger

Posten umfasst das lieferbare Sortiment der Hager Group

200000
5000

Posten davon sind so genannte schnell­drehende Produkte, die häufig nachgefragt werden

Produkte sind seltener gefragte Referenz­posten, die dennoch auf Vorrat gehalten oder kurz­fristig produziert werden müssen

160000

Länder Europas wird der Logistik-Hub Vendenheim beliefern

45
24

Produkte kommissioniert die Hager Group in jeder Sekunde für Kunden

35000

Kunden­liefer­positionen bearbeiten wir jeden Tag

Umbau in vollem Betrieb, Operation am offenen Herzen

Denn dass es in den kommenden Monaten und Jahren zu Verzögerungen kommen wird, ist möglich. „Vor uns liegt eine Operation am offenen Herzen“, sagt Detlev Röttger. „Wenn man eine Logistik in dieser Größenordnung umbaut und parallel ein altes und neues System betreibt, sind Probleme vorprogrammiert. Durch professionelles Projekt- und Risikomanagement werden wir die Beeinträchtigung unserer Kunden jedoch weitgehend minimieren.“

Das Hochregallager als zentraler Knotenpunkt unserer Logistik in Europa, dem sogenannten Hub.

Noch ungefähr zwei Jahre dauert es, rechnen die Logistikexperten, bis die neuen Verteilzentren komplett gebaut, eingerichtet und eingespielt sind. Zwei Jahre also, in denen Schlechtwetterlagen und Staus, das Warmlaufen der Systeme und die Einarbeitung neuer Mitarbeiter uns möglicherweise vor die ein oder andere Herausforderung stellen wird. Und doch gibt es zum umfassenden Umbau keine Alternative. „Kunden sind es von Amazon und Anderen gewohnt, ihre Bestellungen binnen 24 Stunden zu erhalten“, sagt Bénédicte Crosnier. „Die Ansprüche unserer Kunden werden in Zukunft sicher weiter steigen. Mit unserem neuen Logistikkonzept werden wir sie optimal erfüllen.“

Das neue Logistikkonzept der Hager Group wird Ende des Jahres 2023 voll operationabel sein. Aus einem mitunter komplexen Lieferprozess nach der Methode Spaghetti wird dann ein funktionierender Warenfluss nach dem Prinzip Radnabe entstanden sein. Im Idealfall werden die Kunden der Hager Group von alldem kaum etwas mitbekommen. Außer vielleicht, dass die Belieferung durch die Hager Group wirklich rund läuft – ganz genau so, wie ein perfekt geöltes Schwungrad.

Die Ansprüche der Kunden werden in Zukunft sicher weiter steigen. Mit unserem neuen Logistikkonzept werden wir sie optimal erfüllen.

Bénédicte Crosnier

Daniel Hager – EditorialDie Welt von überübermorgen – EssayDas Prinzip Nabe und Speiche – LogistikWir machen es zu unserem Projekt – ProjektgeschäftKombinierte Energien – EnergiemanagementDie Kraft der Vielen – NachhaltigkeitUnsere Zukunft fest im Blick – Customer CentricityDigitale Zwillinge erobern Bauprojekte – DigitalisierungUnser Vorstand – Unser Aufsichtsrat – Ansprechpartner für unsere Kunden – Zahlen, Daten, Fakten – Impressum – Hager Group Annual Report ArchiveHager Group Annual Report 2020/21Hager Group Annual Report 2019/20Hager Group Annual Report 2018/19Hager Group Annual Report 2017/18Hager Group Annual Report 2016Hager Group Annual Report 2015