Die Welt von überübermorgen

Essay

Die Welt von überübermorgen

Was erwartet uns, wenn wir auf die elektrische Welt des Jahres 2030 schauen? Ein Ausblick von Daniel Hager, Vorstands­vor­sitzender der Hager Group.

Daniel Hager
Seit 2008 ist Daniel Hager Vorstands­vor­sitzender der Hager Group. Zudem engagiert er sich in führenden Branchen­verbänden in Deutschland und Frankreich.

3.100 Tage. Umgerechnet rund 100 Monate. Das ist, von der Mitte des Jahres 2021 aus gerechnet, die zeitliche Distanz, die uns vom nächsten Jahrzehnt trennt. 100 Monate sind, je nach Sichtweise, ein ziemlich langer Zeitraum oder überübermorgen. Dabei gilt, was einst Bill Gates über unsere Wahrnehmung der Veränderungsgeschwindigkeit sagte: „Wir überschätzen den Wandel, der uns in den kommenden zwei Jahren bevorsteht – und unterschätzen die Veränderungen, die sich in zehn Jahren vollziehen“, so die Erfahrung des Microsoft-Gründers, der die Welt mit Innovationen nachhaltig verändert hat. Gates Schlussfolgerung: „Wir sollten uns nie verleiten lassen, die Hände in den Schoß zu legen.“

Wie aber dürfen wir uns die elektrische Welt des Jahres 2030 vorstellen? Und was tun wir als Hager Group schon heute, um uns auf dieses Morgen vorzubereiten? Wie werden wir diese Welt mitgestalten, und was bedeutet all das für unsere Partner, Mitarbeiter und Kunden?

Blicken wir gemeinsam auf einige Entwicklungspfade, die uns ins Jahr 2030 führen werden.

Wie genau unsere Welt im Jahr 2030 aussehen wird, kann niemand sagen, schließlich beginnen wir sie gerade erst zu bauen.

Smarte Mobilität

Während ich dies schreibe, nimmt die lange angekündigte und ebenso lange verzögerte Elektromobilität unübersehbar Fahrt auf. In China, in den USA, aber auch in vielen europäischen Ländern explodieren die Zulassungszahlen für E-Fahrzeuge geradezu. Diese Dynamik kommt allerdings mit einem Beigeschmack, denn stetig steigende E-Fahrzeug-Zulassungen bedeuten, dass unsere Netzkapazitäten und die noch nicht ausreichend ausgebaute Ladeinfrastruktur an ihre Grenzen stoßen. Wir von der Hager Group entwickeln daher unter anderem Ladelösungen, mit denen sich Parkplätze von Gewerbe- und Industriebauten im Handumdrehen mit E-Ladelösungen aufrüsten lassen.

Das ist auch deshalb wichtig, weil wir alle im Jahr 2030 noch den Wert individueller Mobilität zu schätzen wissen werden. „Gerade für den ländlichen Raum sind E-Autos eine Lösung“, meint Prof. Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft an der Leuphania-Universität Lüneburg. „Der städtische Raum ist eng und hart umkämpft, aber auf dem Land hat man Platz zum Parken und Laden.“

Auch deshalb setzen nahezu alle nennenswerten Automobilhersteller auf Elektromobilität. In den nächsten zehn Jahren wollen die 29 größten Fahrzeugproduzenten weltweit mehr als 300 Milliarden Euro in die Entwicklung und Produktion alternativer Antriebe stecken – eine gewaltige Summe, die den Umstieg noch einmal beschleunigen dürfte. Die Strategieberatung KPMG sieht drei disruptive Trends, die die Transformation unserer Mobilität global beschleunigen werden: Neben Elektrofahrzeugen (EVs) und alternativen Antrieben sind das vernetzte und autonome Fahrzeuge (CAVs) und Mobility-as-a-Service (MaaS), also Mobilitätsanbieter wie Uber oder DriveNow. „Unabhängig voneinander würde jeder von ihnen das Ökosystem erheblich verändern“, analysieren die Experten, „in Kombination stehen sie jedoch für einen beispiellosen Wandel.“

Nach einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group könnte 2030 das Jahr sein, in dem erstmals in der Geschichte des Automobils weltweit mehr Fahrzeuge mit Elektroantrieb als mit Verbrenner verkauft werden. Es wäre eine historische Zäsur – der Verbrennungsmotor wird von seinem elektrischen und potentiell klimaneutralen Nachfolger überholt.

Seit 2018 ist E3/DC Teil der Hager Group. Unter der Marke E3/DC werden innovative Lösungen für die Energiespeicherung und Elektromobilität in Deutschland und der Schweiz gefertigt.
Intelligentes Laden

Die Bedeutung dieses Wandels reicht weit über das Fahrzeug selbst hinaus. Denn ein zentraler Pfeiler unserer Energieversorgung im Jahr 2030 wird die Einbindung der Elektrofahrzeuge in intelligente Stromnetze sein. Die Batterien der E-Fahrzeuge werden dann Energie aufnehmen, wenn der Wind gerade kräftig weht oder die Photovoltaikanlagen auf Hochtouren produzieren – und diese bei Nachfragespitzen oder vorübergehendem Produktionsmangel wieder ins Netz abgeben. Mit den zehn Millionen E-Fahrzeugen auf deutschen Straßen, die die Bundesregierung für 2030 anstrebt, stünden dem deutschen Stromnetz damit potentiell zusätzliche zehn Millionen Speicherplätze zur Verfügung. Diese auch Vehicle to Grid (V2G) genannte Pufferfunktion ist entscheidend, um Produktionsschwankungen auszugleichen, die bei wachsender Stromerzeugung aus Wind, Wasser und Sonne unvermeidlich sind. Dafür allerdings müssen E-Fahrzeuge und Ladepunkte zunächst einmal das bidirektionale Laden lernen, das ein flexibles Be- und Entladen von Fahrzeugspeichern erlaubt – eine Technologie, an der wir von der Hager Group zusammen mit unserem Partner Audi gegenwärtig arbeiten.

Aber nicht nur Fahrzeugantriebe und Ladepunkte müssen bis zum Jahr 2030 auf Zukunft umgestellt werden, sondern auch die Gebäude, an deren Energienetze sie andocken. Hier hat sich in den letzten Jahren ein gewaltiger Modernisierungsstau gebildet. In Deutschland beispielsweise sind nach einer Studie des Elektro- und Digitalverbandes (ZVEI) die Hälfte der in den 60er-Jahren errichteten Gebäude elektrotechnisch nicht mehr auf den neuesten Stand gebracht worden. In anderen europäischen Ländern dürfte die Lage nicht viel besser sein. Weltweit sind Immobilien und Bautätigkeit für gewaltige 40 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. Unglaublich, aber wahr: Während wir an unserer digitalen Zukunft arbeiten, stecken wir elektrotechnisch vielerorts noch in den Wirtschaftswunderjahren.

Während wir an unserer digitalen Zukunft arbeiten, stecken wir elektro­technisch vieler­orts noch in den Wirtschafts­wunder­jahren.

Erneuerte Immobilien

Damit dürften viele Stromkreise und Verteiler schon heute an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen, denn die installierten Lasten pro Haushalt haben sich in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Noch düsterer sieht es aus, wenn wir in die Zukunft blicken: Für ein energieeffizientes Zuhause mit PV-Anlage auf dem Dach, Energiespeicher im Keller und E-Mobil in der Garage sind die Installationen von gestern so ungeeignet wie ein Regionalflughafen für Großflugzeuge. Wenn sich einstige Stromkunden zusehends zu Prosumern wandeln, die Strom mit PV-Anlagen auf ihren Dächern produzieren und in ihre E-Mobile in der Garage und Energiespeicher im Keller einspeisen, müssen ihre Elektroinstallationen viel mehr verkraften können als heute. Darauf aber sind die Leitungen und Anlagen von Millionen Immobilien schlichtweg nicht ausgelegt. Auch für alltagsunterstützende Assistenzlösungen, die einer alternden und zunehmend pflegebedürftigen Bevölkerung ein sicheres und komfortables Leben daheim ermöglichen, braucht es zukunftstaugliche Haustechnik.

Bevor wir also unsere Verkehrsnetze und Städte modernisieren können, müssen wir erst einmal bei uns zu Hause anfangen. Der Weg zur elektrischen Welt von 2030 führt ganz klassisch über Zählerschränke, Verteileranlagen und digitale Hausnetze. Auf unsere Partner im Handwerk und Großhandel aber auch auf uns als Gebäudetechnikhersteller warten damit gewaltige Aufgaben. Eine der wichtigsten liegt darin, unsere Rollen, unsere Art der Zusammenarbeit und unser Selbstverständnis neu zu definieren.

Wir können künftig besser, komfortabler und zugleich nachhaltiger leben. Meist können wir auch deutlich mehr erreichen, als wir uns zutrauen.

Erneuertes Selbstverständnis

Denn auch für uns, das Fachhandwerk und die Lösungen, die wir gemeinsam für unsere Kunden entwickeln, bedeutet eine zunehmend elektrifizierte Welt in den Jahren bis 2030 einige entscheidende Veränderungen. Dabei denke ich unter anderem an neuartige Servicemodelle, eine optimierte Interoperabilität der verschiedenen Gewerke am Bau und neue Wettbewerber, die in unsere Branche vordringen.

Die Trivision Wall: Eine neue Art der Kommunikation im Hager Forum. Besucher erhalten über eine dreiseitige Visualisierung Informationen zu aktuellen Themen der Gruppe.

Je mehr die Digitalisierung unsere Produkte und Lösungen durchdringt, umso regelmäßiger müssen sie ihre Software auf den neuesten Stand bringen und warten. Für intelligente Häuser werden wir im Pannen- oder Schadensfall Spezialisten brauchen, die rund um die Uhr einsatzbereit und in der Lage sind, komplexe Haussteuerungen auch online neu zu justieren. Es werden sich daher künftig neuartige Service-, Miet- oder Leasingmodelle entwickeln müssen, die eine unkomplizierte Nutzung der Gebäudetechnik ermöglichen.

Der Fachkräftemangel, mit dem das Handwerk heute schon zu kämpfen hat, dürfte in Zukunft auch angesichts des wachsenden Bedarfs noch schmerzhafter werden. Wir von der Hager Group bemühen uns, unsere Handwerkspartner auch hier zu unterstützen: Zum Beispiel mit Plug-and-Play-Lösungen, die sich mit geringem Aufwand installieren, vernetzen und fernwarten lassen.

Damit sich die Digitaltechnologien in intelligenten Gebäuden nahtlos miteinander vernetzen lassen, braucht man digitale Kommunikationsprotokolle, die von allen Gewerken gestützt werden. Und apropos Gewerke: Mit Blick auf 2030 werden sie immer näher zusammenwachsen, sich befruchten, aber auch miteinander konkurrieren. Eine Wärmepumpe beispielsweise kann vom Elektrotechniker genauso installiert werden wie vom Heizungstechniker oder Solateur. Und natürlich ist das Geschäft mit der Gebäudetechnik eines, für das sich auch überregionale Energieversorger und Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley interessieren. Wir werden daher unsere Position neu finden, stärken und mitunter auch verteidigen müssen.

Frisch renoviert: In unseren „Labs“ in Obernai bieten wir Besuchern unsere Technologien zum Anfassen. Während des Lockdowns haben wir unsere Labs erneuert und optimiert.
Realistische Träume

Ich möchte mit Blick auf 2030 uns allen Mut machen, denn wir haben in der Vergangenheit gezeigt, zu welch enormen Leistungen wir in der Lage sind. Nur ein Beispiel aus der Gebäudetechnik: Nach Analysen des Thinktanks Agora Energiewende haben Gebäudesanierungen, ein effizienterer Neubau, der Einsatz von Wärmepumpen und anderer Maßnahmen den Ausstoß klimaschädlicher Gase durch den deutschen Gebäudebestand zwischen 1990 und 2018 um gewaltige 44 Prozent gesenkt. Und das, obwohl die Wohnfläche gleichzeitig um 39 Prozent wuchs. Mehr Gebäudeeffizienz und -intelligenz bedeutet also nicht weniger Wohnkomfort und Lebensqualität, ganz im Gegenteil: Wir können künftig besser, komfortabler und zugleich nachhaltiger leben. Meist können wir auch deutlich mehr erreichen, als wir uns zutrauen.

Als ich Anfang der Nullerjahre bei einem kleinen erneuerbare Energien-Unternehmen meine ersten beruflichen Erfahrungen sammelte, steuerten Wind, Sonne und Wasser gerade mal sechs Prozent zum deutschen Strommix bei. Damals herrschte in Politik und Wirtschaft ein breiter Konsens, dass ein erneuerbare Energien-Anteil von über 30 Prozent völlig utopisch sei. Heute, nur 20 Jahre später, liegt ihr Anteil dank einer großen gesellschaftlichen Kraftanstrengung und eines buchstäblich bahnbrechenden Gesetzes bereits bei über 45 Prozent, und ein Ende des Erneuerbaren-Wachstums ist nicht abzusehen. Weltweit ist der Anteil regenerativer Energien an der Erzeugungskapazität auf über 36 Prozent gestiegen, wobei der Zuwachs in den Jahren 2019 und 2020 so hoch ausfiel wie nie zuvor. Visionäre wie der Solarinvestor und Stanford-Dozent Tony Seba („Saubere Revolution 2030“) gehen davon aus, dass grüne Energien, deren Erzeugungskosten im Vergleich zu fossilen immer günstiger werden, in den nächsten Jahren unsere Geschäftsmodelle, unsere Art des Wohnens und Lebens umfassend verändern werden.

Wir sind stolz, zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Gesellschaft beizutragen. Wir glauben außerdem, dass ökologisch nachhaltige Geschäftsmodelle in Zukunft überdurchschnittlich stark wachsen werden. Deshalb legen wir künftig noch stärkeren Wert darauf, dass sich unser Handeln positiv auf unsere Umwelt auswirkt.

Das Hager Forum in Obernai bietet Besuchern eine kleine Reise durch die Geschichte, die Firmenkultur und die Lösungen der Hager Group. „Das Kundenerlebnis steht für uns immer im Mittelpunkt“, erklärt Daniel Hager, hier im Austausch mit Personalvorstand Franck Houdebert.
Gemeinsames Projekt

Ich bleibe sehr optimistisch, wenn ich auf das kommende Jahrzehnt blicke. Und ich freue mich darauf, gemeinsam mit unseren engagierten Partnern aus Elektrohandwerk und Großhandel, Wissenschaft und Gesellschaft die Herausforderungen anzunehmen und unsere elektrische Zukunft gemeinsam zu gestalten. Mit dem „Project 2030“ der Hager Group haben wir eine klare Strategie formuliert und zahlreiche Initiativen angeschoben, mit denen wir in wichtigen Zukunftsfeldern die richtigen Weichen stellen.

100 Monate bis zum Jahr 2030 – das ist überübermorgen.

Um auf diesem Weg voranzukommen und unsere Führungsposition auszubauen, brauchen wir die klügsten Köpfe, erfahrensten Praktiker und motiviertesten Mitstreiter in unseren Teams. Für alle, die unsere Zukunft prägen und an einer echten, nachhaltigen Wachstumsgeschichte mitschreiben wollen, stehen die Türen der Hager Group daher weit offen.

Zukunft ist immer das, was wir aus ihr machen. Wie genau unsere Welt im Jahr 2030 aussehen wird, kann niemand sagen, schließlich beginnen wir sie gerade erst zu bauen. Ich bin mir aber jetzt schon sicher, dass wir, wenn wir in circa 3.100 Tagen auf unsere Gegenwart zurückblicken, sagen werden: Wow, seither haben wir wirklich eine Menge geschafft.

Daniel Hager – EditorialDie Welt von überübermorgen – EssayDas Prinzip Nabe und Speiche – LogistikWir machen es zu unserem Projekt – ProjektgeschäftKombinierte Energien – EnergiemanagementDie Kraft der Vielen – NachhaltigkeitUnsere Zukunft fest im Blick – Customer CentricityDigitale Zwillinge erobern Bauprojekte – DigitalisierungUnser Vorstand – Unser Aufsichtsrat – Ansprechpartner für unsere Kunden – Zahlen, Daten, Fakten – Impressum – Hager Group Annual Report ArchiveHager Group Annual Report 2020/21Hager Group Annual Report 2019/20Hager Group Annual Report 2018/19Hager Group Annual Report 2017/18Hager Group Annual Report 2016Hager Group Annual Report 2015