Daniel Hager über die deutsch-französische Zusammenarbeit und die Expansion der Hager Group

09 April 2024

Im Interview mit der IHK Saarwirtschaft spricht Aufsichtsratsvorsitzender Daniel Hager darüber, wie die deutsch-französische Identität der Hager Group die Unternehmensentwicklung und die grenzübergreifende Zusammenarbeit seit der Gründung im Jahr 1955 prägt. Von den Anfängen im Saarland über das erste Werk in Frankreich in elsässischen Obernai bis zur globalen Expansion - gemeinsam treiben die beiden Nationen die Innovationskraft und den Erfolg der Hager Group voran. Außerdem spricht er über die Standortbedingungen in beiden Ländern und seine Sicht auf die Europäische Union.

 

F: Das Unternehmen Hager gründete 1959 in Obernai seinen ersten Standort in Frankreich. Das war doch sicherlich eine Reaktion auf die Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik, die Zollschranken zu Frankreich zur Folge hatte. 
DH: In der Tat haben mein Vater, mein Onkel und mein Großvater 1959 das Werk in Obernai gegründet, um die französischen Kunden nicht zu verlieren – und um die unternehmerischen Chancen zu ergreifen.
 
old hager group building 1955

F: In der Chronik auf der Hager-Webseite heißt es: „Die Hagers fühlen sich nun auf beiden Seiten der Grenze zu Hause.“ Was hat dieses Gefühl damals bedeutet?
DH: Die Grenzregion war immer wieder in anderen Händen. Die Menschen mussten sich immer wieder auf andere Regeln einstellen, haben eine gewisse Flexibilität entwickelt und fühlen sich daher auf beiden Seiten der Grenze wohl. Man kann sagen: Diese Region besteht aus Brückenbauern. 

F: Welches Gewicht haben die deutschen und französischen Standorte zusammen in der Gruppe? 
DH: Wir haben aus unserer Geschichte heraus mit Blieskastel und Obernai zwei fast gleich starke Standorte. Das Unternehmen besteht aus zwei sehr starken Identitäten. Wir haben ähnlich viele Mitarbeiter in Deutschland und in Frankreich. Auch die Marktpositionen in beiden Ländern war über lange Jahre gleich stark. Wir werden in Frankreich als französisches Unternehmen wahrgenommen und in Deutschland als deutsches Unternehmen. 

F: Wie befruchten sich die deutschen und die französischen Werke? 
DHZwei Beispiele. Die deutsche duale Ausbildung haben wir in unser Werk in Obernai hineingetragen und eine Werkzeugmacherschule aufgebaut. Umgekehrt haben wir ein Speed-Dating-Konzept zur Nachwuchsgewinnung aus Frankreich nach Blieskastel gebracht, und es hat wunderbar funktioniert. Die Standorte lernen voneinander. 
 
hager GROUP APPRENTICES

F: Wie charakterisieren Sie das Miteinander der zwei gleich starken Identitäten?
DH: Nicht viele Unternehmen sind wie wir in der Lage, Deutsche und Franzosen zur Zusammenarbeit zu bringen. Wir wurden deswegen auch mal als der kleine Airbus tituliert. Mit weniger Politik – zum Glück. Dass es zusammen funktioniert, haben wir uns erarbeitet. Und das Miteinander ist keine Selbstverständlichkeit. Man muss es immer wieder erarbeiten. Man muss immer für ein Gleichgewicht sorgen. 

F: Was bedeutet das?
DH: Als die Grenzen noch da waren, hatten wir eine französische Führung in Frankreich, und eine deutsche in Deutschland. Als wir in den 80ern angefangen haben, eine Unternehmensgruppe zu konstituieren, haben wir darauf geachtet, dass beide Perspektiven respektiert sind. Wir haben das über viele Jahre getan, indem wir Manager aus beiden Ländern eingestellt haben, die mit dem Kulturkreis des anderen Landes vertraut waren: Deutsche, die in Frankreich gelebt hatten oder eine französische Frau oder einen französischen Mann hatten – und umgekehrt Franzosen mit entsprechendem Hintergrund. Das war früher eine Grundvoraussetzung für Führungskräfte bei Hager. Das haben wir inzwischen aufgeweicht. 

F: Warum?
DH: Weil wir uns etwas limitiert hatten. Als ich die Führung des Unternehmens übernommen habe, habe ich ja auch Englisch als Gruppen-Sprache eingeführt. In den letzten Jahren haben wir auch mehr auswärtig rekrutiert. Ich habe gesehen, dass es für die Internationalisierung der Gruppe wichtig ist, diversere Profile zu haben. Wir haben gute Marktpositionen in Italien. Ich bin daher froh, dass wir mehr Italiener in Führungsgremien haben. Der Vertriebsleiter weltweit ist ein Däne. Das hilft uns, in der Diversität in Europa zu wachsen. Aber ich habe auch weiterhin stark darauf geachtet, dass eine gewisse Balance zwischen Deutschen und Franzosen erhalten bleibt. 

F:Welche Rolle hat die historisch gewachsene deutsch-französische Identität von Hager für die spätere Internationalisierung der Gruppe gespielt? 
DH: Das Verständnis für eine andere Kultur, eine andere Sprache, die Fähigkeit, auf die Menschen eingehen und ihnen zuzuhören – das war ein entscheidender Faktor für die Internationalisierung der Gruppe. Wir haben diese Haltung verinnerlicht. Uns ist selbstverständlich, auf die Gepflogenheiten vor Ort einzugehen und nicht unser Wesen überzustülpen. 

F: Welche Stärken und Schwächen sehen Sie bei den Standortbedingungen dies- und jenseits der Grenze?
DH: An beiden Standorten haben wir kompetente und loyale Mitarbeiter. Hier im Saarland haben wir einen engen Draht zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die kurzen Wege ermöglichen einiges. Wenn wir Pilotprojekte umsetzen wollen oder Anliegen nach Berlin tragen wollen, finden wir Gehör. Die Infrastruktur im Elsass ist sicherlich dort ein Plus. Auch die Wertschätzung, die Unternehmen und Unternehmern dort entgegengebracht wird. Negativ fallen in beiden Ländern der Fachkräftemangel und der hohe Aufwand für Bürokratie auf – jedoch ist man in Frankreich oft pragmatischer.

F: Was heißt das?
DH: Die deutsche Bürokratie ist in der Praxis sehr eng. Wenn man in Frankreich mit Anliegen auf die Politik zugeht, bekommt man eine starke Unterstützung. Im Elsass gibt es zum Beispiel die ADIRA, eine Agentur zur Wirtschaftsförderung, die Bürokratiehürden aus dem Weg räumt. Wir hatten überlegt, ob wir unser neues Logistikzentrum in Deutschland oder in Frankreich bauen. ADIRA war sehr umtriebig, uns die besten Standortbedingungen zu verschaffen. Wir haben uns am Ende für Vendenheim im Elsass entschieden. Das Logistikzentrum hätte auch in Deutschland entstehen können.

 

hager group vandenheim factory

F: Wie gehen Sie als Verantwortlicher eines Unternehmens der Energiebranche mit der sehr unterschiedlichen Energiepolitik in Frankreich und Deutschland um?
DH: Frankreich setzt sehr stark auf Atomstrom, während Deutschland ohne Atomstrom und rein aus erneuerbaren Energien die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft erreichen will. Ich sehe diese Politik in Deutschland mit gemischten Gefühlen. Vieles ist Stückwerk: keine Kraftwerkstrategie, keine Netzstrategie, keine Strommarktstrategie.

Bei der Transformation braucht es einen Architekten. Den gibt es momentan nicht. Die Politik will ein großes Ziel erreichen, aber erklärt nicht, wie oder unter welchen Bedingungen es gehen soll. Sie setzt keinen ordentlichen Rahmen, wie zum Beispiel durch eine vernünftige CO2-Bepreisung. In Frankreich sind dagegen die Strompreise wesentlich niedriger, und um die Versorgungssicherheit brauche ich mir keine Sorgen zu machen. 

F: Seit langem wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Großregion beziehungsweise der Region Saar-Lor-Lux propagiert. Viele haben den Eindruck, dass wenig. Konkretes herauskommt. Wie sehen Sie das? 
DH: Man könnte wesentlich mehr daraus machen. Zum Beispiel bei der Verkehrsinfrastruktur. Warum schafft man es nicht, eine ordentliche Bahnlinie zum Flughafen in Luxemburg zu bauen? Bisher fehlt auch die Umsetzung deutsch-französischer Innovationsprojekte nach dem Aachener Vertrag. Genauso wie die Förderung einer deutsch-französischen Start-up-Szene. Auch in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung könnte mehr passieren. 

F: In Deutschland reden politische Akteure vom rechten Rand einer Nationalisierung der Volkswirtschaft das Wort. Wie bewerten Sie als Aufsichtsratsvorsitzender einer international aufgestellten Unternehmensgruppe diese Position? 
DH: Die Hager Group profitiert von offenen Grenzen für Dienstleistungen, Kapital und Waren. Wir vertreiben unsere Produkte und Lösungen in über 100 Ländern. Europa ohne Grenzen ist auch generell eminent wichtig für die deutsche Wirtschaft. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, einen kritischen Blick auf Brüssel zu werfen. Wir erleben eine komplizierte und aufwendige Bürokratie. Und es kommt immer noch mehr auf uns zu: wie zum Beispiel das Lieferkettengesetz und die Taxonomie. Die EU muss reformiert und fit für die Zukunft gemacht werden. 

F: Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund des politischen Umfelds die Aussichten für die Hager Group? 
DH: Die Zukunft ist elektrisch. Die Lösungen, die wir in Deutschland und Frankreich entwickeln, helfen, die elektrische Welt von morgen aufzubauen. Wir leisten einen wichtigen Beitrag für die Energiewende. Ob das Zählerschränke sind, unsere Ladesäulen oder unsere Energiespeicher. Die Perspektiven sind daher positiv. Die Rahmenbedingungen dürfen sich aber nicht weiter verschlechtern.
 
Dieses Interview erschien am 9. April in der Saarwirtschaft, der Zeitschrift der IHK Saarland.
Interview: Volker Meyer zu Tittingdorf
Foto: Oliver Dietze
  • Zur Person

    Daniel Hager studierte in Brüssel und Paris Wirtschaftswissenschaften. Er ist Diplom-Kaufmann und hat einen Master in Internationalem Management. In seiner beruflichen Laufbahn sammelte er Erfahrungen als Projektmanager beim Elektrotechnikunternehmen Eaton Electric und beim Windparkprojektierer Plambeck Neue Energien. 2003 trat er in die familieneigene Hager Group ein. Dort stieg er 2008 zum Vorstandsvorsitzenden auf. Im Dezember vergangenen Jahres wechselte er in den Aufsichtsrat und hat dort den Vorsitz. Der 52-Jährige engagiert sich darüber hinaus im Vorstand des ZVEI, dem Verband der Elektro- und Digitalindustrie. 

Melden Sie sich für unseren Newsletter an