Auf lange Sicht

Der Unternehmensberater Prof. Peter May über die Eigenheiten von Familienfirmen

Auf lange Sicht

Wie lässt sich in einer Zeit der permanenten Umbrüche so etwas wie Kontinuität schaffen? Familiengeführte Unternehmen tun es, indem sie über Jahrzehnte hinweg planen und Krisen überbrücken. Professor Peter May, einer der führenden Experten für Familienunternehmen, über Stärken und potentielle Schwachstellen dieser Unternehmensform.

Professor May, Sie widmen ihr gesamtes Berufsleben der Erforschung und Beratung von Familienunternehmen. Was fasziniert Sie so an dieser Unternehmensform?

Zunächst einmal gibt es eine persönliche Wurzel für diese Faszination: Ich stamme selbst aus einem Familienunternehmen, das mein Großvater vor fast 100 Jahren gegründet hat. So habe ich die Besonderheiten von Familienunternehmen von klein an selbst erfahren dürfen. Und bin dabei immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass Familienunternehmen faszinierend und eindeutig die beste Form kapitalistischen Wirtschaftens sind.

Peter May leitete mehrere Jahre selbst ein Familienunternehmen. Heute berät er sie.

Was bringt Sie zu dieser Überzeugung?

Diese Unternehmen verbinden drei Elemente, die einen guten Kapitalismus auszeichnen. Erstens: die ökonomische Erfolgsorientierung, also den Anspruch, besser zu sein als die Wettbewerber und immer besser zu werden. Zweitens: die soziale Verantwortung für Mitarbeiter und Gemeinwesen. Und drittens: eine starke regionale Verwurzelung, die dafür sorgt, dass wir auch in kleinen Orten wie Allendorf oder Blieskastel blühende Landschaften vorfinden. Daraus ergibt sich ein stabiles Gesellschaftsmodell, das im Wesentlichen von Familienunternehmen getragen wird.

Wie viele Familienunternehmen gibt es eigentlich?

In Deutschland sind über 90 Prozent aller Unternehmen in Familienbesitz, sie erwirtschaften über 50 Prozent aller Umsätze und beschäftigen über die Hälfte aller Mitarbeiter. Natürlich sind die meisten Familienbetriebe sogenannte KMU, also kleine und mittlere Unternehmen, aber auch einige der größten Unternehmen befinden sich in Familienhand – denken Sie nur an Aldi, BMW oder die Otto Gruppe.

Wie definieren Sie Familienunternehmen?

Leider gibt es bis heute keine verbindliche Definition, denn die Bandbreite der Familienunternehmen ist groß: Der von einer Familie über Generationen bewirtschaftete Handwerksbetrieb ist ebenso Familienunternehmen wie der börsennotierte Weltkonzern Henkel, den die Hauptanteilseignerfamilie von familienfremden Managern führen lässt.

Nach meiner Überzeugung sind es drei Merkmale, die ein Familienunternehmen auszeichnen: Das Unternehmen hat einen dominanten Inhaber, der die wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens in seinem Sinne bestimmt. Dieser dominante Inhaber ist eine Einzelperson oder eine Familie mit dem erklärten Willen, den familiären Charakter des Unternehmens für mindestens eine weitere Generation aufrechtzuerhalten. Mit dieser simplen Definition lassen sich Familienunternehmen ziemlich trennscharf gegenüber anderen Unternehmensformen abgrenzen.

Welchen Unterschied macht es, ob eine Firma einer Familie oder beliebigen anderen Eigentümern gehört?

Der Unterschied liegt in der unternehmerischen Grundhaltung. Familien denken anders als Investoren. Und wer auch in 30 Jahren noch erfolgreich sein will, setzt andere Ziele als jemand, der auf einen schnellen Erfolg aus ist. Deutlich wurde dies zum Beispiel in der Finanz- und Wirtschaftskrise: Statt Mitarbeiter zu entlassen, haben viele Familienunternehmer durch Verzicht auf kurzfristigen persönlichen Gewinn Arbeitsplätze erhalten. Und weil sie so handeln, genießen unsere Familienunternehmen zu Recht einen Vertrauensvorsprung bei den Menschen. Das könnte mit Blick auf die Verwerfungen, die uns bevorstehen, noch einmal enorm wichtig werden.

Das müssen Sie erklären.

Wir alle spüren, dass wir in einer Zeit globaler und disruptiver Umbrüche leben. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Geschäftsmodelle unserer Unternehmen. Auch die auf Arbeit und Kapital beruhende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gerät zusehends ins Wanken.

Warum ist das so?

Die Digitalisierung wird dafür sorgen, dass das Kapital für die anstehende Arbeit immer weniger menschliche Arbeitskraft braucht. Wenn aber Maschinen und Algorithmen immer mehr Jobs übernehmen, gibt es für immer weniger Menschen gut bezahlte Arbeit. Kapital gewinnt, Arbeit verliert. Das führt zu gesellschaftspolitischen Herausforderungen, für die wir bislang noch keine Lösungen haben.

Für Peter May bilden Familienunternehmen die beste Form kapitalistischen Wirtschaftens. Warum? Weil sie im besten Fall Erfolgsorientierung, soziale Verantwortung und regionale Verwurzelung zusammenbringen.

Sind Familienunternehmen besser oder schlechter auf diese Umbrüche vorbereitet?

Wer das Sagen hat und mit eigenem Geld arbeitet, ist zunächst einmal im Vorteil. Er kann schneller und mutiger agieren als ein angestellter Manager. Und auch verantwortungsvoller. Das sind eindeutige Vorzüge.

Aber es gibt auch spezifische Gefahren für Familienunternehmen. Viele von ihnen werden ihr Geschäftsmodell neu erfinden müssen. Die digitale Zeitenwende verlangt revolutionäre Umwälzungen. Familienunternehmen mit ihrer Langfristorientierung sind aber eher Meister des evolutionären Wandels. Revolution ist nicht ihre Paradedisziplin. Darin liegt eine große Herausforderung.

Von (potentiellen) Mitarbeitern wird heute die Langfristausrichtung honoriert: Familienunternehmen zählen heute gerade bei Young Talents zu den bevorzugten Arbeitgebern.

Sie haben den Menschen ja auch etwas zu bieten. Wir brauchen den Schutz der Gemeinschaft, das Gefühl der Zugehörigkeit, das Familie, Verein und Dorfgemeinschaft lange vermitteln konnten. Gerade diese Zusammenhänge aber lösen sich auf und die sozialen Netzwerke sind kein adäquater Ersatz. Unsere Familienunternehmen mit ihrer Betonung von Kontinuität, Verlässlichkeit und Geborgenheit könnten diese Lücke zumindest teilweise füllen. Allerdings muss man ein solches Versprechen auch einhalten können.

Wie meinen Sie das?

Wer „Familienunternehmen“ verspricht, muss auch als Familienunternehmen bestehen können. In der Regel begleiten Familien ihr Unternehmen aber nur bis zu einer gewissen Größe, oberhalb derer sie sich fragen müssen, ob sie das Schicksal der Firma weiterhin bestimmen können. Auch finanziell sind die Mittel zur Weiterentwicklung begrenzt. Außerdem sind viele Familienunternehmen mit einem Produkt groß geworden, dessen Lebenszyklus irgendwann an sein natürliches Ende gelangt. Dann geht es um die Frage, ob ein Unternehmen die Kraft hat, nach der Droschke auch noch das Automobil zu erfinden. Und ob die Familie die Kraft hat, einen solchen Prozess zu ermöglichen.

Sie kennen den Spruch „Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, unter dem Enkel zerfällt’s.“ Ist da also etwas dran?

Der Zerfall eines Familienunternehmens in der dritten Generation – in Anlehnung an den Roman von Thomas Mann auch als „Buddenbrook-Syndrom“ bezeichnet – ist ein wissenschaftlich erforschtes Phänomen. Neben dem Lebenszyklus des Produktes gibt es auch einen Lebenszyklus der Familie. Während der Gründer kein Risiko scheut, haben seine Kinder bereits eine Menge zu verlieren. Die Enkelgeneration wiederum ist meist in einem gewissen Luxus aufgewachsen und kennt den Gründer kaum noch – da ist es mitunter schwierig, den alten Unternehmergeist lebendig zu erhalten.

Die Forschung hat aber auch gezeigt, dass die durchschnittliche Lebensdauer von Familienunternehmen höher ist als die von Publikumsgesellschaften. Das älteste Familienunternehmen der Welt wurde vor über 1.000 Jahren gegründet. Nicht-Familienunternehmen vergleichbaren Alters finden Sie nicht.

Studien belegen, dass Familienunternehmen mehr in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter investieren und häufiger Langzeitarbeitslose und Behinderte einstellen als andere Unternehmen. Wie erklären Sie sich das überdurchschnittliche soziale Engagement?

Familienunternehmer sind zwar nicht per se die besseren Menschen, aber ihre DNA ist auf eine langfristige Perspektive ausgelegt. Reinhard Zinkann, Eigentümer von Miele, hat es einmal so ausgedrückt: „Unser Ziel ist es nicht, den Unternehmenswert alle drei Jahre zu verdoppeln, sondern alle 30 Jahre eine intakte Firma an die nächste Generation zu übergeben.“ Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen die Beziehungen zu allen wesentlichen Stakeholdern, insbesondere zu den Mitarbeitern, gut sein. Wer so denkt, entlässt seltener und sorgt lieber dafür, dass die Umgebung des Unternehmens floriert, indem sie beispielsweise Sportvereine fördern oder das kulturelle Leben in der Nachbarschaft sponsern. Dass es in Deutschlands Provinz so viele „blühende Landschaften“ gibt, verdanken wir in hohem Maße unseren Familienunternehmen.

Als Experte für Familienunternehmen haben Sie auch die Hager Group kennengelernt. Welchen Eindruck haben Sie aus Blieskastel mitgenommen?

Als die Familie Hager vor einigen Jahren auf mich zukam, habe ich die Hager Group zugegebenermaßen noch gar nicht gekannt. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen: Ich bin nun einmal kein technisch interessierter Mensch. Umso stärker hat mir imponiert, welcher Hidden Champion mir da begegnete.

Beeindruckt war ich auch von der Bodenständigkeit der Inhaberfamilie und davon, wie Daniel Hager als Vertreter der dritten Generation das Unternehmen leitet. Und schließlich fand ich es großartig, wie die Familie sich zu ihrer unternehmerischen Verantwortung bekennt und gemeinsam ihre Ziele, Werte und den Rahmen für das unternehmerische Handeln bei Hager definiert.

Sie selbst stammen aus einem Familienunternehmen, das unter anderem Lebensmittel für Aldi fertigte, haben es aber verlassen und sind Anwalt geworden. Warum?

Mir war schon früh klar, dass meine Fähigkeiten und Leidenschaften nicht so sehr im Unternehmerischen liegen, auch wenn mein Vater es gerne gesehen hätte, wenn ich als ältester Sohn die Nachfolge übernommen hätte. Ich habe mich immer mehr als Lehrer- und Entdeckertyp gefühlt und bin meinem Vater bis heute dankbar, dass er mich freigegeben und erklärt hat, das Lebensglück seines Sohnes sei ihm wichtiger als die Unternehmensnachfolge.

Weshalb haben Sie dann Anfang der Neunziger Jahre doch die Führung der May-Werke übernommen?

Nur ein Jahr nach seiner Entscheidung, mich meinen eigenen Weg gehen zu lassen, erkrankte mein Vater schwer. Meine jüngeren Brüder fühlten sich damals noch zu jung für die Verantwortung, also habe ich sie gemeinsam mit ihnen übernommen. Das war eine klare Entscheidung nach dem Motto: „Blut ist dicker als Wasser“ und auch ein Stück Dankbarkeit gegenüber meinem Vater.

Ich habe dann aber bald gemerkt, dass mein Platz nicht an der Spitze eines Unternehmens ist. Und nach einem langen inneren Kampf habe ich die Unternehmensführung nach sechs Jahren wieder abgegeben.

Wie hat Ihre Familie die Entscheidung aufgenommen?

Dieser Prozess war nicht einfach und hat uns mitunter alle an unsere Grenzen geführt. Wer Familienunternehmen kennt, weiß, was ich meine. Es gab Verletzungen und Verwundungen und eine kurze Zeit lang haben wir sogar kaum miteinander gesprochen. Aber das ist Vergangenheit. Heute verstehen wir uns besser denn je. Ich selbst nehme daraus einen wichtigen Antrieb für meine Arbeit: Konflikte sind natürlich. Sie gehören zu Familien. Aber es liegt an uns, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen.

Hager Group Annual Report 2017/18 – Brücken bauenHager Group-Kollegen erproben neue Produkte und ArbeitsformenFrançois Lhomme über VeränderungDie Hager Group engagiert sich für die GesellschaftMarc Keller, Präsident des Vereins, über die Partnerschaft und ihren NutzenWie die Hager Group Fachhandwerker und Bauherren zusammenbringtMike Elbers über Customer CentricityErfolgreich auf unkonventionellen Wegen: Das Projekt „silhouette“Wie mobile und immobile Welt zusammenwachsenPhilippe Ferragu über DigitalisierungKooperation über Grenzen hinweg: Eine ErfolgsgeschichteDer Unternehmensberater Prof. Peter May über die Eigenheiten von FamilienfirmenFranck Houdebert über Familien­unternehmen – eine Brücke zwischen Vergangenheit und ZukunftTüfteln an der Energielandschaft von morgenUnsere E3-InitiativeUnser AufsichtsratWeltweite KontakteDie Hager Group weltweitImpressumHager Group Annual Report ArchiveHager Group Annual Report 2018/19Hager Group Annual Report 2017/18Hager Group Annual Report 2016Hager Group Annual Report 2015