In die Jahre gekommen
In die Jahre gekommen
Wer morgen energieeffizient wohnen und arbeiten will, muss heute erst einmal verstehen, wie es um die Elektroinstallation von gestern bestellt ist. Und da zeichnet eine aktuelle Studie ein düsteres Bild: Allein in Deutschland sind Millionen Bestandsgebäude elektrotechnisch überaltert. Für smartes Wohnen und intelligenten Energieverbrauch sind sie denkbar ungeeignet.
In die Jahre gekommen
Guter Jahrgang
Sanierungsbedarf deutscher Immobilien im Vergleich.Baujahr | Nicht saniert | > 35 Jahre | |
---|---|---|---|
vor 1919 | 4.2 % | ||
1920 – 1949 | 8.3 % | ||
1950 – 1959 | 17.7 % | ||
1960 – 1969 | 42.9 % | ||
1970 – 1979 | 66.7 % | ||
1980 – 1989 | 88.2 % | < 35 Jahre | |
1990 – 1999 | 97.6 % | ||
2000 – 2005 | 91.5 % | ||
ab 2006 | 90.5 % |
Quelle: ZVEI
Neue Lasten, alte Netze
Der deutsche Kanzler hieß noch Ludwig Erhard, die Fernsehbilder wurden gerade erst farbig und die Concorde setzte zu ihrem allerersten Überschallflug an: Das war die Ära, in der viele Elektroinstallationen verbaut wurden, die bis heute in Betrieb sind. Wie überaltert die Elektroinstallation vieler Gebäude ist, zeigt eine aktuelle Gemeinschaftsstudie zweier deutscher Hochschulen. Im Auftrag des Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI) hatten die Forscher den Zustand elektrischer Anlagen in deutschen Eigentums- und Mietimmobilien abgefragt – und waren zu niederschmetternden Ergebnissen gelangt.
So ist fast die Hälfte der in den Sechziger Jahren errichteten Gebäude nach ihrer Fertigstellung elektrotechnisch nie mehr auf Vordermann gebracht worden. Damit dürften viele Stromkreise und Verteiler schon heute an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten, denn die installierten Lasten pro Haushalt haben sich in den Jahrzehnten seither vervielfacht. Noch düsterer sieht es aus, wenn man in die Zukunft blickt: Für ein energieeffizientes Zuhause mit PV-Anlage auf dem Dach, Energiespeicher im Keller und E-Mobil in der Garage sind die Installationen von gestern so ungeeignet wie eine Pferdekutsche für die Autobahn.
Nicht viel besser dürfte es in den europäischen Nachbarländern aussehen, auch wenn hier im Gegensatz zu Deutschland keine verlässlichen Untersuchungen vorliegen. Die europäische Branchenorganisation CECAPI schätzt, dass jedes Jahr knapp 17 Milliarden Euro investiert werden müssten, um die rund 230 Millionen Gebäude in Europa elektrotechnisch sukzessive auf den aktuellen Stand zu bringen.
Auf Draht
Länder, in denen eine regelmäßige Inspektion der Elektroanlagen gesetzlich vorgeschrieben ist.Frankreich
Bei jedem Mieter- oder Eigentümerwechsel ist eine Überprüfung der Elektroinstallation Pflicht.Schweiz
Alle 20 Jahre muss die Elektroinstallation vom Fachmann überprüft werden.Elektroinstallation an den Grenzen der Belastbarkeit
„Dem Laien ist kaum bewusst, welchen Belastungen sein hausinternes Stromnetz durch den Einsatz der neuen hochmodernen Elektrogeräte ausgesetzt ist“, konstatieren die Autoren der ZVEI-Studie. „Provokant ausgedrückt, könnte man die Elektroinstallation in Gebäuden auch als das „Vergessene System“ in der Energieversorgungskette bezeichnen.“
Wie schnell ein solches System zum Problem und aus Belastungen gefährliche Überlastungen werden können, zeigt die Analyse von Brandursachen. Nach Statistiken der deutschen Versicherer sind ein Drittel aller Brände durch Fehler in der Hauselektrik verschuldet. Beim vorbeugenden Brandschutz rangiert Elektrizität mit 52 % sogar unangefochten auf Rang 1. Das bedeutet: Mit einer Sanierung der Elektroinstallation ließe sich das Brandrisiko spürbar senken.
Regelmäßige Überprüfung unumgänglich
Das gilt einmal mehr, als die Elektroinstallation in Zukunft immer mehr leisten können muss. Wenn aus einst reinen Stromkunden Prosumer werden, die Strom effizient konsumieren, ihn gleichzeitig mit PV-Anlagen produzieren und sogar in Elektroautos oder Speicher einspeisen, muss Elektroinstallation viel mehr verkraften als heute. Darauf aber sind die Leitungen und Anlagen von Millionen Gebäuden schlichtweg nicht ausgelegt.
„Das Energiesystem der Zukunft wird mit den Elektroinstallationen von Vorvorgestern nicht funktionieren“, kritisiert Johannes Hauck von der Hager Group, der als Leiter des ZVEI-Lenkungskreises „Elektro-Modernisierung“ das Thema seit Jahren begleitet. Traditionelle Anlagen könnten weder Stromverbrauchswerte erfassen noch den Verbrauch steuern. „Was derzeit passiert, ist etwa so, als würde man die neueste Windows-Version auf einem Commodore C64 installieren: Ein Modell, das zum Scheitern verurteilt ist.“
Damit die Energiewende in den Privathaushalten ankommen kann, müssten die Förderanreize für Modernisierung aufgestockt und auf die Elektroinstallation ausgeweitet werden. Außerdem sollte der Zustand von Elektroanlagen regelmäßig überprüft und bei Bedarf verbessert werden, insbesondere bei Nutzungsänderungen wie der Ingration einer PV-Anlage, eines Speichersystems oder einer E-Mobil-Ladesäule.
In Frankreich beispielsweise ist eine Überprüfung der Elektroinstallation bei jedem Mieter- oder Eigentümerwechsel obligatorisch. In der Schweiz muss die Elektroinstallation alle 20 Jahre vom Elektrotechniker kontrolliert werden. Während Schweizer und Franzosen also (zukunfts-) sicherer wohnen und arbeiten, leben Millionen Menschen in den anderen europäischen Ländern immer noch auf dem elektrotechnischen Stand von vorvorgestern.
Was es jetzt zu tun gibt:
- Eine regelmäßige, nutzungsorientierte Überprüfung durch Elektrotechniker muss in Gesetzen und Normen wie DIN VDE 105-100 verankert werden.
- Die entsprechenden Gesetze und Normen müssen angepasst und angemessene Kriterien formuliert werden.
- Fördermaßnahmen für Renovierung und Sanierung sollten auf Elektrosanierung ausgeweitet werden.
- Sicherheit, Zuverlässigkeit und Funktionalität einer elektrischen Anlage muss grundsätzlich Vorrang vor Bestandsschutz haben.