Wir müssen die Nutzer mitnehmen

Wir müssen die Nutzer mitnehmen

Wie können Hersteller und Architekten gemeinsam energieeffizientes Bauen fördern? Der Architekt Matthias Sauerbruch und Mike Elbers von der Hager Group im Gespräch.

Wir müssen die Nutzer mitnehmen

Für die Hager Group ist Matthias Sauerbruch ein alter Bekannter: Gerade im vergangenen Jahr hat der Berliner Architekt das neue Hager Forum in Obernai fertiggestellt. Grund genug nachzufragen, was Architekten und Bauherren bewegt.

Herr Sauerbruch, wenn Architekten wie Sie heute mit Bauherren über Gebäudeplanung sprechen: Welches sind die häufigsten Fragen, die man Ihnen in puncto Energieeffizienz stellt?

Das hängt ganz davon ab, mit wem wir am Tisch sitzen. Bei privaten Bauherren ist Energieeffizienz in den meisten Fällen eine nachgeordnete Frage. Sofern sich der Bauherr nicht ohnehin mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wird höchstens in einer späten Phase der Planung mal nach Brennstoffzellen oder einer Photovoltaikanlage auf dem Dach gefragt.
Bei institutionellen Bauherren ist das ganz anders. Deren Facility Manager sind meist extrem bewandert, was Energieeffizienz betrifft. Nicht selten werden zudem vom Management Ziele wie beispielsweise CO2-Neutralität oder eine Nachhaltigkeits-Zertifizierung vorgegeben. Und natürlich sind die niedrigen Betriebskosten energieeffizienter Gewerbeimmobilien ein Aspekt, der jeden Besitzer oder Betreiber interessiert. Viele können da bereits auf Erfahrungen aufbauen, die sie mit anderen Gebäuden gemacht haben.

Mike Elbers freut sich als Senior Vice President Region Europe über jede Gelegenheit, sich mit Planern, Technikern und Verbrauchern auszutauschen. Sein Credo: „Auch die noch so ausgefeilte Marktforschung kann das direkte Gespräch nicht ersetzen.“

Unterm Strich ist Energieeffizienz für Ihre Bauherren aber keine Top-Priorität.

Nein, in erster Linie geht es meist um die Organisation und Funktion des Gebäudes. So war es ja auch beim Hager Forum, das wir für Sie gebaut haben: Unsere wichtigste Aufgabe lautete, einen Raum für die Begegnung zwischen Mitarbeitern, Partnern und Kunden zu schaffen. Dennoch spielte die ökologische Performance des Gebäudes eine Rolle.

Wie erklären Sie sich, dass wir im Auto oder beim Telefonieren längst mit modernsten Technologien unterwegs sind, unsere Gebäude aber technologisch noch im vergangenen Jahrhundert stecken?

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Wir schätzen die Dinge, die wir kennen und müssen erst einmal einen echten Mehrwert sehen können, bevor wir etwas Neues akzeptieren. Und in der Vergangenheit sind mitunter Gebäudesteuerungen auf den Markt gekommen, die weder ausgereift noch einfach zu bedienen waren. Eine Technologie aber, für deren Bedienung der Nutzer erst einmal einen Doktortitel braucht, kann sich nicht durchsetzen.

Andererseits akzeptieren wir es beim Auto durchaus, dass es nicht mehr von uns selbst, sondern von Fachleuten gewartet wird.

Über zwei Stunden diskutierten Matthias Sauerbruch und Mike Elbers über nachhaltige Technologien und nutzerfreundliche Gebäudeautomation. Das Gespräch fand im Büro der Architekten in Berlin-Moabit statt.

Stimmt, als junger Mann konnte ich auch noch den Keilriemen meines Autos durch einen Damenstrumpf ersetzen. Und im Winter war ich froh, wenn mein Wagen auch längere Strecken ohne Panne lief. Heute erwarte ich von meinem Auto, dass es tadellos funktioniert und verspüre keinen Wunsch, selbst Hand anzulegen. Dieses Vertrauen ist aber auch das Ergebnis meiner konkreten Erfahrung.

Genau diese Erkenntnis, meine ich, müssen wir in die immobile Welt übersetzen: Das Wissen, dass wir in Gebäuden mit intelligenterer Technik ein spürbares Mehr an Effizienz und Komfort erreichen. Hier können wir eine Menge von Apple und damit einer Marke lernen, die hochkomplexe Technik mit einfacher und intuitiver Bedienung kombiniert.

Der Vergleich hinkt, fürchte ich, denn Wohnung und Arbeitsplatz sind – anders als Autos oder Mobiltelefone – keine Maschinen. Für die Nutzer von Häusern hat das Funktionieren von Technikkomponenten nicht die oberste Priorität; deshalb darf sich die Technik nicht in den Vordergrund drängen. Da kann man sich in der Tat von den Bedienoberflächen von Apple eine Scheibe abschneiden. Der Nachteil des Apple-Systems ist aber seine Abgeschlossenheit, das heißt: Es gibt kaum Schnittstellen zu anderen Marken und Systemen. Auf der Baustelle aber brauchen wir eine Vielzahl möglichst einfacher Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Technologien und Herstellern. Ein einfaches Plug and Play-System eines Herstellers, das alle Technologiekomponenten umfasst, gibt es einfach noch nicht.

Matthias Sauerbruch ist zusammen mit seiner Frau Louisa Hutton einer der erfolgreichsten deutschen Architekten. Zu den bekanntesten Bauten ihres Berliner Büros zählen das Museum Brandhorst und das ADAC Hochhaus (beide München), das Dessauer Umweltbundesamt und die Cologne Oval Offices.

Welche Gebäudetechnologien würden Sie sich denn wünschen?

Als Architekt wünsche ich mir flexible Systeme, die wenig Raum beanspruchen, die leicht verständlich, einfach zu individualisieren und kostengünstig sind. Das ist natürlich eine Art eierlegende Wollmilchsau, aber Sie hatten mich ja nach meinen Wunschvorstellungen gefragt (lacht).

Vieles von dem haben wir bereits im Portfolio. So können Sie heute bereits Ihren Energieverbrauch per App prüfen und steuern.

Um Energie zu sparen, müssen Gebäudenutzer erst einmal wissen, was sie womit eigentlich verbrauchen. Ein unaufdringliches Monitoring des eigenen Verhaltens kann Nutzern helfen, ihren ökologischen Fussabdruck zu verringern, wenn sie das möchten.

Das ist ein Punkt, den wir immer wieder diskutieren: Reicht eine bloße Visualisierung des Verbrauchs, oder sollte Gebäudetechnik dem Nutzer auch Empfehlungen geben, wie er ihn weiter senken könnte?

Ich kann da auf unsere Erfahrungen mit unserem Neubau des Dessauer Umweltbundesamts verweisen, das wir um die Jahrtausendwende mit für die damaligen Verhältnisse sehr ambitionierten Energieeinsparungszielen konzipiert haben. Nach unseren Berechnungen hätte das Gebäude 73 kWh Primärenergie pro Quadratmeter und Jahrverbrauchen sollen. Tatsächlich waren es im ersten Jahr fast doppelt so viele.

Woran lag’s?

Zum Einen an den Kinderkrankheiten der Energietechnik und der langwierigen Einregulierung aller Steuerungskomponenten. Zum Anderen an den Nutzern, die einfach eine Zeitlang brauchten, um mit dem Haus und seinen Funktionsweisen warm zu werden. In den ersten Jahren war es so: Wenn einer Sekretärin winters zu warm war, hat sie das Fenster aufgerissen – nicht wissend, dass die Heizung nicht redundant ausgelegt war. Und später hat man sich dann über Kälte beklagt.
Wir haben dadurch gelernt, dass auch die beste Technik nur funktioniert, wenn die Nutzer sich auf sie einlassen. Alles, was da zum gegenseitigen Verständnis beiträgt, ist willkommen.

Was bedeutet das für Sie, die Architekten und für uns, die Hersteller?

Wir dürfen nicht am Bedarf vorbeiplanen. Gleichzeitig müssen wir aber auch versuchen, die Nutzer zu Komplizen innovativer Lösungen zu machen. Dabei geht es nicht nur um Technik und deren Vermittlung. Aufenthaltsqualität ist ja eine Funktion des Wohlbefindens, also der subjektiven sinnlichen Wahrnehmung eines Gebäudes, zu der auch Formen, Farben, Oberflächen und Licht gehören. Und je einladender ein Gebäude wirkt, desto eher sind seine Nutzer bereit, sich mit ihm und seinen Eigenheiten auseinanderzusetzen und gegebenenfalls zu identifizieren. Die Aufgabe für uns Architekten lautet daher, Gebäude so zu gestalten, dass man sich gerne in ihnen einrichtet. Im Zweifelsfall sollte man sich durchaus in ein Gebäude verlieben können.

Sehen Sie da Unterschiede zwischen Wohnraum und Arbeitsplatz?

Ja, schon. Beim Privathaus oder der Privatwohnung ist die emotionale Bindung viel stärker und dementsprechend auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Von einer Arbeitsumgebung hingegen erwartet man, dass sie funktioniert, ohne dass man etwas dafür zu tun hat.

Was meinen Sie: Wird es für Gebäudenutzer künftig zum Standard gehören, ihre Immobilien von Experten warten zu lassen?

Ja, leider. Nicht umsonst hat das Facility Management in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Früher waren es Hausmeister, die Gebäude betreuten. Heute sind es zum Teil hochspezialisierte Techniker. Dieses Gefühl der Distanz ist nicht hilfreich; ich denke ein gewisses „empowerment“ gehört zum Wohlbefinden. Aus meiner Sicht wäre es die Aufgabe dieser Spezialisten, den Nutzern zu helfen, selbst intelligent mit ihrer Immobilie umzugehen.

Damit könnten wir dem Ziel der Ressourcenschonung und CO2-Reduktion deutlich näherkommen.

Ich denke schon. Gleichzeitig wird der objektiv sinkende Energieverbrauch pro Quadratmeter in unseren Häusern ja momentan durch die Nutzungsansprüche mehr als ausgeglichen. Wir können natürlich größer denken, das heißt: In Stadtsystemen. Wir könnten gemischte Quartiere mit kurzen Wegen zwischen Wohn- und Arbeitsplätzen, mit Vor-Ort-Herstellung von Nahrungsmitteln und dezentraler Energieerzeugung konzipieren. Unterm Strich werden wir unsere Ziele aber am ehesten erreichen, indem wir unsere Lebensgewohnheiten verändern.

Noch sind Gebäude die größten Energieverbraucher, in Zukunft könnten sie zu autarken Energieerzeugern avancieren. Glauben Sie, dass Haus- und Gebäudebesitzer bereit sind, sich in puncto Energieerzeugung zu engagieren?

Sicher. Der Gedanke eines eigenen Kraftwerks auf dem Dach oder im Keller hat ja durchaus etwas für sich. Und dafür brauchen wir intelligente Netze.

Das Dumme ist nur, dass viele Altbauten weder auf die Eigenenergieerzeugung noch aufs intelligente Energiemonitoring vorbereitet sind. Einer aktuellen Studie zufolge ist die Elektroinstallation in 70 Prozent des deutschen Gebäudebestands mehr als drei Jahrzehnte alt.

Dabei liegt in der Ertüchtigung alter Bestandsgebäude eine enorme Chance. Wir haben kürzlich im Norden Schwabings für die Munich Re ein Bürogebäude aus den Achtziger Jahren revitalisiert. Dadurch, dass wir die im Rohbau verbaute „graue Energie“ genutzt haben, startet das Gebäude energetisch gleich mit enormem Vorsprung. Zudem haben wir durch das Recycling des Rohbaus auch Kosten und etwa ein Jahr Bauzeit gespart.

Normalerweise verlangt nachhaltiges Bauen zunächst einmal höhere Investments. Steckt darin letztlich ein unauflösbares Dilemma: Dass Energieeffizienz zumindest erst einmal mehr kostet, als sie einbringt?

Ja. Für den Mehraufwand eines auf Energieeffizienz ausgelegten Gebäudes muss man Amortisationszeiten einplanen, die über die heutigen Erwartungen des Finanzmarkts hinausgehen. Aber auch das ist ein Lernprozess: Bauherren müssen heute für ihre Gebäude wieder längerfristige Perspektiven entwickeln. Architekten wiederum müssen so bauen, dass ihre Gebäude nicht nur materiell überdauern, sondern auch eines Tages an veränderte Nutzungsanforderungen angepasst werden können. Und die Gesellschaft muss lernen, auch die möglicherweise nicht mehr so schicken Gebäude unserer Vätergeneration nicht einfach abzureißen, sondern intelligent wiederzuverwenden. Energieeffizienz ist also nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch der Kultur.

www.sauerbruchhutton.de

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